Artikel: Der Weg in die Selbstständigkeit

Der Weg In Die Selbstständigkeit Guanshe

Nach 17 Jahren als Übersetzerin in Festanstellung plane ich mit Anfang 40 den Weg in die Selbstständigkeit. Den Gedanken hatte ich zwischendurch immer mal wieder, schob ihn aber immer wieder beiseite und hielt ihn für Notsituationen in der Hinterhand — „Naja, wenn die Firma den Bach runtergeht, werde ich eben Einzelkämpfer“ oder „Wenn mein Mann einen Traumjob in einer anderen Stadt findet, mach ich mich halt selbstständig“. Der Mut zu diesem Schritt fehlte aber, weil ich auch den Wunsch danach selbst nicht ernst genommen habe.

Natürlich sind die Vorteile einer Festanstellung nicht von der Hand zu weisen: ein geregeltes Einkommen auch bei Urlaub, Krankheit oder geringem Arbeitsaufkommen, alle Arbeitsmaterialien werden gestellt, man ist unter Menschen, die im Idealfall sogar nett sind, und eine räumliche Trennung von Privatleben und Arbeitsplatz ist gegeben. In meinem Fall kommt noch eine Abwechslungsvielfalt hinzu, die ich als Freiberufler nicht hätte – derzeit übersetze ich nicht nur, sondern übernehme zum Teil das Layout, und organisiere das Projektmanagement für meine Kunden, kommuniziere mit aller Welt, und habe im Rahmen der Qualitätssicherung endlos viel über andere Sprachen gelernt, selbst wenn ich sie nicht spreche.

Gleichzeitig lassen sich die genannten Vorteile aber auch mit Gegenargumenten abschwächen oder sogar ganz erschlagen…

Hinten angefangen: wenn ich ehrlich bin, geht es mir total auf den Zeiger, ständig für den Mist verantwortlich gemacht zu werden, den irgendein anderer Übersetzer in irgendeiner anderen Sprache verbockt hat, und ständig allen Lieferanten hinterherzurennen, damit sie ihre Liefertermine einhalten, Anweisungen beachten, sich an die vorgegebene Terminologie halten oder wenigstens meine E-Mails lesen. Wie schön wäre es, wenn ich nur für meine eigene Arbeit verantwortlich wäre! Die würde ich gewissenhaft und gründlich erledigen und dann pünktlich abgeben. Ein Traum!

Weitere Informationen und Tipps beim Weg in die Selbstständigkeit findest du auch im Leitfaden: Wechsel in die Selbstständigkeit: Ein Leitfaden für angehende Freiberufler und Gewerbetreibende in Deutschland.

Die räumliche Trennung meines Arbeitsplatzes von der Wohnung wäre mir gar nicht so wichtig – ich bin gerne zu Hause, und wenn im Gästezimmer dann noch ein Schreibtisch steht – warum nicht? Derzeit pendle ich jeden Tag von Köln nach Bonn, da komme ich in einer Woche schnell auf 10 Stunden Fahrtzeit – und nein, das möchte ich jetzt nicht auf 17 Jahre hochrechnen! Soll das bis zur Rente so weitergehen? Wohl kaum. Außerdem: wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, gibt es gerade in Großstädten genügend Angebote für einen Platz in einer Bürogemeinschaft.

Damit wären wir auch schon beim Thema Kollegen. Die hätte ich in einer Bürogemeinschaft in einer – wie ich mir vorstelle – viel angenehmeren Variante: sie können mir nämlich keine ungeliebten Aufgaben aufdrücken. In unserem Büro bin ich die nette Ja-Sagerin, die jeder schon mal grundsätzlich als erstes fragt, wenn er etwas will. Was dazu führt, dass ich nicht nur zwei Jahre Schwangerschaftsvertretung übernehmen durfte, sondern in unserem 6-köpfigen Team für 4 von 5 möglichen Urlaubsvertretungen zuständig bin. Klar, selbst schuld, aber ich bin ungern ein Kollegenschwein und möchte umgekehrt ja vielleicht auch einmal Hilfe in Anspruch nehmen. Geben und Nehmen – so sollte das funktionieren. Tut es in der Praxis aber selten, denn wer keine Kinder hat, kann ja auch länger bleiben.

Und das Finanzielle? Arbeitsmaterialien kann man steuerlich absetzen. Die Kosten für eine Bürogemeinschaft auch. Die höheren Versicherungskosten (inkl. Krankengeld/Arbeitsunfähigkeit natürlich) hat man je nach Tätigkeitsfeld in 2-3 Tagen raus, nur für seinen Urlaub muss man vorarbeiten. Aber ist das nicht ein kleiner Preis für das Riesenstück Freiheit, was man als Selbstständige gewinnt? Zumal die Verdienstmöglichkeiten (zumindest in meinem Gebiet) für Freiberufler oft deutlich besser sind als das, was Firmen einem als Festgehalt zahlen können.

Natürlich wird es einige Zeit dauern, bis der Laden läuft. Am Anfang wird es viel Leerlauf und Wartezeiten geben, die ich mit Kundenaquise und Däumchendrehen füllen muss. Ein finanzielles Polster sollte man deshalb vor diesem Schritt schon haben. Natürlich würde ich weiterhin auch für meinen jetzigen Arbeitgeber arbeiten wollen, doch muss man für den Anfang aufpassen, nicht in eine Scheinselbstständigkeit zu geraten. Die liegt dann vor, wenn rund fünf Sechstel des Einkommens vom selben Auftraggeber stammen.

Grundsätzlich blicke ich diesem Schritt positiv entgegen, denn viele meiner Freundinnen oder ehemaligen Kolleginnen arbeiten jetzt freiberuflich – und keine kann sich über mangelnde Arbeit beschweren. Außerdem habe ich so schon ein gutes Netzwerk und kann von ihren Erfahrungen profitieren.

Foto: rawpixel/pixabay 

Weitere Informationen und Tipps beim Weg in die Selbstständigkeit findest du auch im Leitfaden: Wechsel in die Selbstständigkeit: Ein Leitfaden für angehende Freiberufler und Gewerbetreibende in Deutschland.