Artikel: Mein Weg zur Ergotherapie – Wie ich dazu kam, meinen Beruf zu wechseln

Beruf wechseln Guanshe

Alles begann am 22.12.2010. 

Ich war seit über 8 Jahren als Übersetzerin in einer Patentanwaltskanzlei in München/Deutschland angestellt. An dem Tag wurde mir eröffnet, dass ich nicht mehr übersetzen dürfe, der Korrekturaufwand sei zu hoch bei meinen Texten. 

Ich war, wie Ihr Euch denken könnt, geschockt. Ich hatte noch ca. 30 Jahre Arbeitsleben vor mir und sollte nun „nur“ noch als Sekretärin arbeiten, Briefe schreiben, Rechnungen erstellen usw.? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Somit versuchte ich in den darauffolgenden Monaten, mich an anderer Stelle in München als Übersetzerin zu bewerben – leider ohne Erfolg. Woran es lag, kann ich bis heute nicht sagen, vielleicht gab/gibt es einfach zu viele Übersetzer in der bayerischen Landeshauptstadt. 

Nach langem Überlegen und da ich Bewerbungen schreiben satt hatte, entschloss ich mich deshalb, etwas völlig Neues zu beginnen. Aber was? Ich wollte etwas mit Menschen zu tun haben und auch der medizinische Bereich hatte mich schon immer interessiert. Ein komplettes Studium kam nicht in Frage (ich war damals Mitte 30) und zunächst hatte ich die Idee, in die Physiotherapie einzusteigen. Dann stellte ich mir jedoch vor, wie ich bei einer Größe von knapp 1,50m einen Mann mit 1,90m und 100kg bewegen sollte…Das war also keine gute Idee. 

Durch das Internet kam ich dann auf die Ergotherapie und stellte fest: Diese ist in vielen verschiedenen Bereichen angesiedelt, hilft ganz unterschiedlichem Klientel im Alltag wieder besser zurecht zu kommen und hat somit einen ganzheitlichen Ansatz. Das klang hervorragend für mich! Ich erkundigte mich auf der staatlichen Ergotherapie-Schule in München, wie die Zugangsvoraussetzungen sind. Man erklärte mir, dass zunächst ein Realschulabschluss (oder vergleichbar) vonnöten wäre und es ein Punktesystem gäbe. Sprich, Berufserfahrung (auch in einem ganz anderen Bereich) wird einem „angerechnet“, daneben natürlich auch, wenn man eine Ausbildung zur Altenpflegerin, Sozialpädagoge etc. absolviert hat. Wenn man genug Punkte hat, wird man angenommen. 

Weitere Informationen und Tipps beim Weg in die Selbstständigkeit findest du auch im Leitfaden: Wechsel in die Selbstständigkeit: Ein Leitfaden für angehende Freiberufler und Gewerbetreibende in Deutschland.

Im Unterschied zu privaten Ergotherapieschulen muss kein Schulgeld gezahlt werden. Das war für mich sehr wichtig, da mich ja mein Mann finanzieren musste (ich würde ja kein Geld mehr verdienen!) und ein zusätzliches Schulgeld von 200 bis 300 Euro nicht möglich gewesen wäre. Anfang 2013 bewarb ich mich also bei dieser Schule – und wurde glücklicherweise direkt genommen! 

Im September 2013 startete ich die 3-jährige Ausbildung zur Ergotherapeutin. Und was soll ich sagen: Es war kein Spaziergang. Die ersten 1,5 Jahre waren reine theoretische Ausbildung mit vielen Klausuren und dementsprechend viel Lernen. 

Wie ich schon erwähnte: Da die Ergotherapie ein sehr breit gefächerter Beruf ist, waren auch die Schulfächer breit aufgestellt: Von Anatomie über Berufskunde über Medizinsoziologie bis hin zu handwerklichen Fächern galt es, sich Wissen anzueignen. Nach der reinen Theorie absolvierte man 4 Praktika á 10 Wochen in unterschiedlichen Einrichtungen inklusive Praktikumsberichten und praktischen Prüfungen, die benotet wurden. Das letzte halbe Jahr bestand wieder aus Theorie an der Schule und vielen Leistungsnachweisen (u.a. Referaten). Am Ende stand dann die staatliche Examensprüfung. 

An dieser Stelle muss ich meine große Stütze im Hintergrund, meinen lieben Ehemann, erwähnen, ohne den ich es aus verschiedenen Gründen wohl nicht geschafft hätte. Aber Ende Juli 2016 hatte ich sehr glücklich und erleichtert mit fast 40 Jahren mein Examenszeugnis in der Hand. 

Seit September 2016 bin ich nun als Ergotherapeutin in einer Praxis in München tätig. Ich arbeite mit neurologischen Patienten (Multiple Sklerose, Schlaganfall, Demenz, auch als Hausbesuche) und mit Kindern. Die Arbeit ist zwar mitunter sehr anstrengend aber auch sehr erfüllend und ich bereue definitiv nicht, diesen Schritt gewagt zu haben. Großverdiener wird man in diesem Job nicht, dass sollte einem bewusst sein. Aber wenn dann während der Therapie ein Kinderlachen ertönt oder ein erwachsener Patient meint, ich solle besser nicht Lotto spielen und gewinnen, denn dann wäre ich ja nicht mehr da, dann weiß man, dann man vieles richtig gemacht und sich die Anstrengung gelohnt hat. Der Beruf lehrt einem auch den etwas altertümlichen Begriff der Demut. Demut und Dankbarkeit, dass man selbst jeden Tag alleine aufstehen kann, alleine auf die Toilette kann, sich selbst Essen zubereiten kann usw. 

Ihr merkt: Ich bereue nichts!

>>> Hast Du selbst auch den Beruf gewechselt und bist in einen ganz neuen Bereich eingestiegen? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Foto: Alexas_Fotos/pixabay

Weitere Informationen und Tipps beim Weg in die Selbstständigkeit findest du auch im Leitfaden: Wechsel in die Selbstständigkeit: Ein Leitfaden für angehende Freiberufler und Gewerbetreibende in Deutschland.